Eine Frage, über die ich immer wieder stolpere, die sozusagen immer im Raum steht, ist die, was denn im Kopf passiert – oder passieren sollte – wenn improvisiert wird. „Was denkst du wenn du spielst?“, fragte mich neulich noch ein Schüler. Und die Antwort ist gar nicht so einfach. Reflexartig möchte man sagen: am besten an nichts. Aber stimmt das?
Multitasking
Wenn eine Linie über einen Akkord oder eine Akkordfolge improvisiert wird, gibt es viele Dinge, die im Kopf herumwuseln können: die auserwählte Skala, vielleicht ein Arpeggio, die Notendichte, Rhythmus, Dynamik, Artikulation, die Notenauswahl, Fingersatz, rechte-Hand-Technik, Sound, etc
Wenn wir über all dieser Teilaspekte des Spiels bewusst entscheiden müssten, wäre das Ergebnis am Ende wahrscheinlich nicht schön anzuhören. Es erinnert mich an ein Interview, das ich vor einigen Jahren im Radio gehört habe. Interviewt wurde ein Autor, dessen Bücher häufig die Sprache an sich zum Inhalt haben. Ich habe eine Ankündigung gehört und hoffte auf ein unterhaltsames Gespräch mit vielen Pointen und Sprachwitz. Aber es kam anders! Jeder Satz wirkte gestellt und unnatürlich staksig artikuliert. Ich bilde mir ein herausgehört zu haben, dass der Interviewte, vermutlich aus Sorge vor einem Fehler, jede Einzelheit seiner Antworten durch sein Bewusstsein hat laufen lassen. Das mag zwar alles richtig gewesen sein, aber witzig oder auch interessant zuzuhören war das nicht!
Genau so verhält es sich natürlich auch mit dem improvisieren! Carl Gustav Jung hat im Vorwort eines Buches des Autors D.T.Suzuki geschrieben: „Kein Bewusstsein kann mehr als eine ganz kleine Anzahl simultaner Vorstellungen beherbergen“. Unser Unterbewusstsein ist da auf größere Datenmengen ausgelegt! Alles, was wir mit den Sinnesorganen aufnehmen – bewusst oder nicht – landet dort. Wir können nicht alles immer ins Bewusstsein (zurück-)rufen, aber als „Erfahrung“ hat alles Einfluss auf zukünftige Entscheidungen. Daher sind die sogenannten „Bauchentscheidungen“ oft diejenigen die am Ende eines Entscheidungsprozesses den Ausschlag in die eine oder andere Richtung geben. Der „Bauch“ – im Gegensatz zum „Kopf“ – kann auf diesen riesigen Pool an Informationen und Erfahrungen zurückgreifen.
Kopfsache
O.K.. Aber was geht denn nun im Kopf vor? Eine schöne Antwort habe ich mal in einem Interview gelesen – leider weiß ich nicht mehr, wer der Interviewte war. Er beschrieb den Prozess des Improvisierens mit einer kleinen Stimme im Kopf, quasi der Zuhörer in ihm, der ihm verrät, was als nächstes kommen soll.
Häufig liest oder hört man auch, der Kopf sollte gar nicht mitspielen, was ich für mich immer schwierig finde. Der Kopf ist nun mal da und mit dabei. Wenn ich mich anstrenge an nichts zu denken, ist es absolut hinderlich! Schließlich ist „Nicht Denken!“ auch ein Gedanke…
Der gängige Vergleich von Musik und Sprache kann hier vielleicht ein wenig Licht ins Dunkel bringen. Wir improvisieren ja auch wenn wir sprechen, und dabei ist der Kopf nicht mit den Namen der gewählten Zeiten oder der einzelnen Satzbausteine beschäftigt! Es geht in erster Linie um den Inhalt. Auch sprachliche Feinheiten wie Ironie oder Übertreibung entstehen im Sprachfluss; ich zumindest denke beim sprechen nicht: „Jetzt würze ich die nächste Aussage mal mit Ironie!“. All dies passiert quasi von selbst. Und so soll es beim improvisieren auf dem Instrument auch sein!
Ganz ohne unser Bewusstsein kommen wir beim sprechen aber nicht aus! Immerhin müssen wir beispielsweise im Dialog das große Ganze – quasi das Thema – im Auge behalten. Ansonsten würden Gespräche doch sofort unvermeidbar abdriften und, am Ende, zu nichts führen! Und da bin ich wieder bei der kleinen Analogie von vorhin: alles Gespielte wird quasi gehört und wir nehmen aktiv an der Entstehung der nächsten Phrase teil. Das kann vielleicht einfach eine Entwicklung eines kleinen Motives sein. Oder auch eine gedachte Anweisung wie: „Vollgas!“, vielleicht ein Skalen-Sound oder ein Rhythmus. Interessant finde ich hierbei, dass das alles „im Moment“ passieren muss, mit permanenter Geistesgegenwart und ohne Urteil über das, was passiert.
Es strömt sozusagen durch unser Bewusstsein hindurch; häufig liest man in diesem Zusammenhang von dem Gefühl mehr Zuhörer als Aktiver zu sein.
Inzwischen gibt es einige gute Bücher, die sich mit diesem Zustand, nennen wir ihn der Einfachheit halber „Modus“, beschäftigen; Kenny Werners „Effortless Mastery“ oder „The Inner Game of Music“ von Berry Greene und W. Timothy Gallway, um nur zwei Beispiele zu nennen.
Das Problem ist, dass, sobald wir uns bemühen in den Modus zu kommen, der Faden reißt und der Flow abebbt. Es langt ein Gedanke wie: “ Ist das jetzt gut genug?“, oder „Yes! Es klappt“, also das Urteilen über das was gerade passiert. Des Rätsels Lösung klingt ganz einfach: Wir müssen uns nur auf unsere passive Aufgabe einlassen und „es“ einfach geschehen lassen. In der chinesischen Gedankenwelt gibt hierfür einen Begriff, auf den ein großer Teil des philosophischen Daoismus fußt: WuWei.
WuWei
WuWei bedeutet übersetzt so viel wie „Nicht Handeln“, wobei hiermit nicht „einfach mal nix tun“ gemeint ist sondern genau das, was oben beschrieben steht: ohne spürbares eigenes Handeln Dinge erledigen. Ein anderes wichtiges Wort, quasi die andere Seite des Erledigens, in diesem Zusammenhang ist der Begriff „Ziran“, was soviel bedeutet, wie „von selbst so“.
Die alten Chinesen haben viele verschiedene Wege probiert in den Modus zu kommen – viele dieser Wege sind nicht empfehlenswert, haben sie doch mit mit der Einnahme gesundheitsschädigender Substanzen zu tun -, doch einer scheint ziemlich erfolgsversprechend zu sein: die „innere Alchemie“. Hierbei geht es um ein ziemlich komplexes Modell bei dem mit Energie („Chi“) gearbeitet wird, aber im Grunde genommen handelt es sich um Meditation. Und die muss nicht so komplex sein! Es geht schließlich darum unseren „kreativen Kanal“ frei zu bekommen!
Meditationsübung
Es geht darum unsere Aufmerksamkeit zu lenken und zu fokussieren. Wobei wir ganz „bei der Sache“ sein müssen und keine Gedanken an Zukunft oder Vergangenheit gebrauchen können. Außerdem sollten wir, wie schon angedeutet, das Urteilen sein lassen! Eine Tätigkeit, die uns leicht fällt, ist das Atmen. Also schließe bitte die Augen (bitte erst zu Ende lesen
) und lenke deine Aufmerksamkeit auf die Atmung. Es geht nicht darum deine Atmung zu beeinflussen, beachte sie nur. Sobald ein Gedanke „aufploppt“, bemerke ihn und lasse ihn ziehen; hierbei hilft es manchmal sich vorzustellen, die Gedanken sind Wolken oder der Abspann eines Filmes. Es sollte sich eine angenehme Entspannung einstellen. Mach diese Übung zunächst für ein paar Minuten. Wenn du die Augen wieder öffnest, bist du oft schon im Modus angekommen. Jetzt musst du nur noch üben ihn aufrecht zu erhalten und aus dem Modus heraus Musik zu machen. Vielleicht kannst du dir ja, quasi als Aufwärmübung, eine meditative einfache Übung am Instrument heraussuchen, die dir hilft in den Modus hineinzugleiten…
Coda
Dieser Text bezieht sich auf Improvisation, aber die Idee lässt sich auf viele Situationen übertragen! Immer wenn es darum geht Gelassenheit zu bewahren, kreativ zu arbeiten oder fokussiert zu bleiben – ohne Druck oder Stress – kann der „WuWei-Modus“ hilfreich sein. Da sind ein paar Minuten Ruhe am Tag ein guter Anfang, oder?
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