Saxophonist Michael Brecker (* 1949, † 2007) ist einer der wichtigsten Stimmen der Jazzgeschichte, und es lässt sich viel über ihn schreiben. Zum Beispiel, dass er mit seinem Bruder Randy einige der wichtigsten Fusion-Stücke komponiert und gespielt hat, dass er als Studio- und Sessionmusiker auf unzähligen Alben zwischen Pop, Rock und Jazz mitgewirkt hat oder, dass er mit seinem kraftvollen, individuellen Sound eine ganze Generation von Musikern – hier natürlich vor allem Saxophonisten – beeinflusst hat.
Aber darauf möchte ich gar nicht so sehr eingehen. Mir geht es heute vielmehr um Michaels Talent, bitonale Linien klingen zu lassen, als wären sie das Selbstverständlichste der Welt. Ein beliebtes Werkzeug Breckers war dabei das sogenannte ‚Side Slipping‚, wobei anstatt des eigentlich klingenden Akkordes, über einen ‚gedachten‘ Akkord einen Halbton über oder unter demselben gespielt wird. So einfach die Beschreibung ist, so schwierig ist es das Konzept musikalisch klingen zu lassen. Oder wie einer meiner Lehrer mal sagte: „Outside spielen ist leicht! Nur wieder reinkommen ist die Schwierigkeit…“
Ich habe zwei sehr schöne Beispiele von Michael gefunden. Sie stammen beide von einer Live-Aufnahme eines Blues, gespielt im Quartett mit dem Gitarristen Pat Metheny, dem Schlagzeuger Antonio Sanchez und Christian McBride am Kontrabass.
Bei dem ersten Abbildung handelt es sich um eine schöne Db-Moll Pentatonik-Linie. Sie könnte auch genau so von einem Gitarristen sein und stellt ein tolles Beispiel dar, wie eine Pentatonik klingen kann. Das Besondere ist – abgesehen von dem wirklich coolen rhythmischen Effekt durch die Akzente -, dass Brecker dieses Lick – wie gesagt: in Db-Moll – über eine II-V-Verbindung in C-Dur spielt; die Akkorde sind also Dmi7 G7 und C. Probiere die Linie erstmal über einen Db-Moll Akkord aus, so dass sie also ‚Inside‘ klingt, und wenn es klappt, spiele das Lick über die Akkorde in C.
Auf der Aufnahme steht die Melodie ziemlich für sich, was es eventuell etwas schwieriger macht. Mein Tipp wäre, das Lick mit einer kurzen melodischen Phrase in C-Dur aufzulösen, falls du dich mit der Reibung schwer tust.
Abbildung 1: Db-Moll Pentatonik-Linie
Auch das zweite Beispiel wird über eine II-V-I-Verbindung gespielt. Im Großen und Ganzen nutzt Brecker die C-Dur Tonalität – nur, dass er, im Übergang zwischen dem ersten und zweiten Takt, einen ‚Sideslip‚ nach Ebmi7 einschiebt. Das macht aus der vielleicht etwas ‚biederen‘ Linie, eine gefühlte Achterbahnfahrt! Vor allem, weil er nicht, wie man es bei vielen Jazzmusikern häufig hört, die Dominante G7 mit dem Outside-Sound würzt, sondern in der Mitte des Dmi7-Taktes anfängt und relativ früh im G7-Takte den bitonalen Effekt auflöst.
Abbildung 2: Sideslip II-V-I
Die Melodien von Michael Brecker können sehr heraufordernd sein, vor allem, wenn sie auf die Gitarre übertragen werden sollen! Die Beispiele funktionieren meiner Meinung nach auch sehr gut in einem moderatem Tempo, und selbst wenn nicht, lässt sich bei der Beschäftigung mit den Beispielen vieles für die eigenen Improvisationen lernen.
Ich wünsche dir viel Spaß und Inspiration. Wenn du Fragen oder Kommentare hast, schreibe mir gerne eine Email!
Bis bald,
Frank