Intro
Jeder Mensch formuliert mehr oder weniger regelmäßig Ziele, sei es ganz bewusst oder auch “versteckt”, beispielsweise als Vorsatz. Manchmal kommen Ziele auch als “Träumerei” daher.
Ob es nun das eine Auto ist, eine neue Karriere als Maler oder endlich Spanisch sprechen zu können – hinter all diesen Träumen verstecken sich Ziele – sie müssen nur als solche formuliert werden. Dass die utopischen Träumereien oft so schnell wieder verworfen werden, liegt häufig gar nicht am Zeit- oder Geldmangel, sondern eher an schlichter Überforderung. Wir haben keine Ahnung, wie wir unser Ziel angehen müssen und deshalb fangen wir lieber gar nicht an.
Dabei braucht es oft nur eine gute Strategie! Diese Strategie beinhaltet häufig ein Langzeitziel, das den Traum greifbar macht, einige Etappenziele, mit deren Hilfe man sich, Schritt für Schritt, dem Langzeitziel nähert und realistische Tagespläne, die dafür Sorgen, dass die Überforderung gar nicht erst eintritt. Anders herum formuliert, lassen sich durch gute Planung viele Ziele erreichen.
Vom Traum zum Ziel
Um aus einem Traum ein echtes Ziel zu machen, muss man sich fragen, was es ist, das den Wunschtraum definiert; also wenn es beispielsweise darum geht, Jazzgitarrist zu werden, lautet die wichtige Frage: Was muss ich machen, um mich als Jazzgitarrist zu sehen und zu definieren?
Das Ergebnis dieser Überlegungen könnte sein, dass es zu einem bestimmten Zeitpunkt – beispielsweise in sechs Wochen, sechs Monate oder in einem Jahr – ein Mini-Konzert geben wird, zu dem Freude und Bekannte eingeladen werden. Vielleicht möchte ja einer der Eingeladenen kochen lernen, und sorgt für einen kulinarischen Beitrag. Gibt es eventuell einen Kollegen mit Barista-Ambitionen?
Auf jeden Fall wird es im nächsten Schritt Zeit, diese Definition näher zu beschreiben. Wie viel Stücke müssen auf dem Konzert gespielt werden? Fragt man einen Bassisten oder einen Gitarren-Kollegen, ob er (oder sie…) mitspielen mag, oder spielt man mit einem Play-Along, also einer Aufnahme, auf der die Gitarren-Stimme fehlt?
An dieser Stelle kommt die bereits erwähnte Strategie ins Spiel, um zu meinem Ziel – in sechs Wochen meinen Freunden etwas vorzuspielen – näher zu kommen.
Das bringt mich zu einem interessanten Prinzip, das sehr häufig greift, und das man sich beim lernen zu nutze machen kann: Der so genannte “Pareto-Effekt”. Vilfredo Pareto war ein italienischer Ingenieur und Soziologe, der, bei einer Untersuchung der Grundbesitzverteilung in Italien 1906, herausfand, dass 20% der Bevölkerung, 80% des Bodens besitzen.
Dieser Effekt ist als Prinzip sehr häufig anzutreffen; dabei geht es gar nicht so sehr um die exakten Zahlen. So kann man, angenommen, wir träumten davon Spanisch zu sprechen, mit ca. 20% des existierenden Vokabulars, ca. 80% der Konversationen führen. Nochmal: es könnten auch 30% der existierenden Wörter, 76% der Gespräche sein – die exakten Zahlen sind hierfür nicht wichtig! Wichtig ist herauszufinden, was die Puzzle-Teile sind, die immer wieder auftauchen und die gegebenenfalls einen Großteil dessen ausmachen, was wir lernen wollen. Im Beispiel mit der Jazzgitarre wäre eine II-V-I-Verbindung so ein Puzzle-Teil. Wenn die einmal – in den gängigsten Tonarten zuerst – gelernt sind, müssen wir sie im nächsten Stück nicht wieder neu lernen, sondern können uns auf die 20% des Stückes konzentrieren, die “neu” sind.
Um jetzt konkret eine Liste mit den Puzzle-Teilen erstellen zu können, was das denn nun für Dinge sind, die es zu üben gilt, muss recherchiert werden.
An dieser Stelle wird es Zeit für Experten!
Wer Antworten braucht, muss Fragen stellen
Es ist eigentlich ganz logisch: da ich ja (noch) kein Fachmann in meinem Traum-Gebiet bin, muss ich einen Fachmann fragen. Oder vielleicht auch zwei. Ich habe im folgenden einige Fragestellungen zusammengestellt, die weiterhelfen sollen.
– Wenn Du für die nächsten 6 Wochen nur zwei Dinge üben könntest, was wäre das?
– Wenn du in sechs Wochen einen Jazz-Einsteiger, der schon etwas Gitarre spielt, coachen müsstest, was wären die Themen, an denen du arbeiten würdest?
– Was sind die zwei Bücher, die du dem Einsteiger empfehlen würdest?
– Welche Stücke würdest du für das Projekt empfehlen?
Sinn und Zweck der Fragen sind um einen herauszubekommen, was für den Befragten das Wichtigste ist und ob er eine Art Reiseplan zum Ziel hat.
Jetzt muss ich nur noch die Adressaten für meine Fragen finden. Ein guter Startpunkt, ist hier Google (oder eine alternative Suchmaschine) und Suchbegriffe, wie: „Jazz“, „Gitarre” und „[Dein Wohnort]”. Es hilft auch sich über die Gitarrenszene zu informieren, vor allem im Bezug auf die Lehrer der “Helden”. Taucht hierbei ein Name häufiger auf, ist der ein guter Kandidat. Es kann auch nichts schaden eine (oder mehrere) tatsächliche Unterrichtsstunden zu nehmen!
Habe ich am Ende meiner Recherche eine Liste mit Begriffen, entstehen hieraus meine Etappenziele. Diese List muss nun häufig reduziert werden. Es sollten nur einige Begriffe übrig bleiben. Oft ist hier auch die Reihenfolge der Begriffe entscheidend. Gibt es ein Stichwort, das andere Dinge auf der Liste überflüssig oder zumindest wesentlich leichter macht? Damit sollte begonnen werden! Es ist sinnvoll mit den am häufigst genutzten Tonarten beim üben zu beginnen – das wären wahrscheinlich F, C, Bb und Eb. Dann folgt wohl G, was für die meisten Gitarristen eine gute Nachricht ist.
Es ist bedeutend wichtiger was geübt wird, als wie geübt wird! Aber ganz ohne “wie” geht es dann auch nicht.
Induktives und deduktives Lernen
Was nach furchtbar trockenem und schwerem Fachwissen klingt, beschreibt erstmal nur zwei Herangehensweisen, um komplexe Dinge zu lernen. Bei der induktiven Methode arbeitet man vom Kleinen ins Große, und bei der deduktiven vom Großen ins Kleine.
Für unser Beispiel bedeutet das, dass, wenn ich lernen möchte über eine II-V-I-Progression – also der wichtigsten Akkordfolge im Jazz – zu improvisieren, ich mich dem Ganzen nähern kann, indem ich viele Beispiele lerne, übe und mit der Zeit allgemeine Gesetzmäßigkeiten herleite
Wir bekommen so ein Gefühl für typische melodische Verläufe und beginnen mit der Zeit zu “hören” wie eine solche Linie klingen muss, bzw. kann. Unterbewusst lernen wir so, vor allem wenn wir uns mit den Melodien anderer Musiker beschäftigen, Dinge wie Phrasierung, Timing und Dramaturgie. Dies entspricht einem induktivem Ansatz. Der Vorteil hier ist der deutliche Praxisbezug, auch wenn es manchmal eventuell schwierig ist im einzelnen Fall zu entscheiden, da es ja noch kein konkretes “Regelwerk” gibt.
Wenn wir uns mit allgemeineren Dingen – wie einem Improvisationskonzept, Skalen und Arpeggios oder auch Themen wir “Chromatik” – beschäftigen, haben wir zu Beginn direkt unsere ”Gesetzmäßigkeiten” und können hieraus eigene Ideen herleiten. Das wäre ein deduktiver Ansatz. Der Vorteil bei diesem Ansatz ist, dass wir eindeutig zuordnen können, was zu tun ist, wobei hier schnell vergessen wird, das in der echten Praxis das Spiel nicht nach Lehrbuch funktioniert. Wir (er-)kennen alle den Unterschied zwischen dem Fremdsprachler, der ausschließlich in einer Schule gelernt hat und dem, der einige Zeit in dem entsprechenden Land gelebt hat.
Aus meiner Sicht ist das Zusammenspiel beider Ansätze am erfolgversprechendsten.
In kleinen Schritten zum Ziel
Jetzt, da ich weiß wie meine einzelnen Etappen aussehen, muss ich strategisch gesehen von vorne beginnen. Wie kann das definierte (Etappen-)Ziel in kleine überschaubare Teile zerteilt werden die dann über einen definierten Zeitraum gelernt und verinnerlicht werden sollen? Angenommen, auf meiner Set-liste – die Stücke für das Minikonzert, du erinnerst dich? – steht ein Blues in der Tonart F, dann könnten die einzelnen Zutaten aus der Bluestonleiter, Akkordgriffe für Dominant-Akkorde, das Improvisieren über, und das Begleiten von II-V-I-Verbindungen und Umgang mit Zwischendominanten auf der VI. Stufe bestehen.
Wenn die einzelnen Teile, mit denen ich mich beschäftigen will, feststehen, kommt wieder die Frage nach der richtigen Reihenfolge auf: Welcher Teil muss zuerst kommen? Für das Beispiel würde ich empfehlen, mit wenigen Akkord-Voicings einen Blues begleiten zu lernen. Das versetzt mich in die Lage, mir ein Play-Along aufzunehmen. Der nächste Schritt wäre dann, nur mit der Bluestonleiter ein kurzes Solo über die Form zu spielen. Hierfür kann zum Beispiel mit dem sogenannten “Qustion and Answer”-Konzept oder auch einer anderen formgebenden Idee, gearbeitet werden.
Wenn das gut funktioniert, kann ich mich um ein harmonische Detail kümmern, beispielsweise dem Ausspielen – also dem melodischen “Wiederspiegeln” der Harmonie – der so häufig erwähnten II-V-I-Progression in Takten 9 & 10. Dann dem vorbereitenden A7-Akkord in Takt 8. Und immer so weiter – bis mein definiertes Ziel erreicht ist. Das Definieren ist an dieser Stelle sehr wichtig, denn man kann, wenn kein Ziel gesetzt ist, ewig an jedem Thema arbeiten!
Üben
Über das Üben als solches habe ich bereits einige Blog-Artikel geschrieben – genau wie über die II-V-I-Verbindung, übrigens – deshalb möchte ich an dieser Stelle nur kurz darauf eingehen.
Der wohl wichtigste Aspekt beim Üben ist die Achtsamkeit. Damit ist kein New-Age-iges, pseudo-buddhistisches Konzept gemeint, sondern schlicht die Fähigkeit, seine Aufmerksamkeit eigenständig und urteilsfrei auf etwas zu lenken, das jetzt gerade stattfindet. Im Rahmen von Übungen einfach und ohne die richtige Geisteshaltung Wiederholungen “abzureißen”, bis die 10000 Stunden geschafft sind, ist nicht nur unnötig anstrengend, sondern oft einfach nicht zielführend!
Bei jeder Wiederholung sollte meine Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Teilaspekt dessen liegen, mit dem ich mich beschäftige. Vor den jeweiligen Wiederholungen, sollte – wenn möglich – eine Klangvorstellung vorhanden sein, und nach der Wiederholung genug Zeit für eine Reflexion. Es geht dabei nicht um ein Abstrafen oder Bejubeln meiner Leistung, sondern ein nüchternes Bewerten. Im übrigen ist das Ziel dieser Form der Übung nicht Perfektion, die ja nicht (dauerhaft) zu erreichen ist, sondern Mühelosigkeit. Wenn wir eine Sprache lernen wollen, geht es ja auch nicht in erster Linie darum Versprecher zu vermeiden, sondern darum, sich möglichst mühelos mit Anderen zu unterhalten.
Was du heute kannst besorgen…
Inzwischen hat sich ein ziemlich komplexes Projekt aus unserem Traum entwickelt. Wir haben das große Ganze heruntergebrochen in viele kleinere Etappenziele, die wir wiederum in möglichst kleine “Happen” zerteilt haben, alles mit einem konkreten Zeitplan versehen.
Aber wie sorge ich dafür, dass ich im Alltag auch spürbar meinem Ziel näher komme? Im Grunde genommen ist es ganz logisch: Genau wie die anderen Dinge, die ich regelmäßig angehen möchte, muss ich meinen “Etappen-Happen” Zeiträume zugestehen. Hier hilft eine täglich aktualisierte To-Do-Liste, am besten mit für jeden Punkt festgelegten Zeiten. Hierbei geht es nicht so sehr um das dringende Einhalten des Plans, sondern schlicht um Übersicht; wie schnell passiert es, dass man sich an einem Übungsprojekt verbeißt und Stunden an etwas arbeiten, ohne die anderen Dinge auf der Liste zu bedenken.
Außerdem gibt es auch für alles ein “zuviel”! Ich arbeite, um dem “zuviel” entgegenzuwirken, sehr gerne mit Timern, die mir ein Zeitraster liefern und dafür sorgen, dass ich absolut fokussiert an meinem jeweilige Projekt arbeiten kann. Wer sich einmal 15 Minuten mit den Umkehrungen eines Akkord-Voicings beschäftigt hat, weiß, dass das durchaus viel Zeit sein kann. Zwischen den Einheiten sollten kurze – 5 bis 10 Minuten – Pausen gemacht werden. Bei all dem müssen die Hinweise im Abschnitt “Üben” beachtet werden.
Interessant ist auch, dass es aus meiner Erfahrung für fast alles ein Minimum gibt. Gemeint ist die Übungs-Häufigkeit, um sich das Geübte auch langfristig merken zu können. Es ist nicht ausreichend ein Mal in der Woche für zehn Minuten etwas zu tun, aber etwas jeden zweiten Tag zu tun scheint effektiv zu sein. Die tatsächliche Zeit, die investiert werden muss, hängt vom Material ab. Hierfür habe ich persönlich ein Minimum von fünf Minuten, beispielsweise und ein Maximum von einer Stunde pro Listenpunkt.
Nicht zu vernachlässigen sind die Dinge die wirklich schnell gehen und die sprichwörtlichen Steine ins rollen bringen. Manchmal ist es nur eine E-Mail oder ein kurzer Anruf die jetzt getätigt werden sollten, und ein entscheidenden Schritt ist getan!
Coda
Es soll nicht leicht klingen, was ich hier beschreibe! Das ist es oft nicht! Aber es geht ja auch um nichts geringeres als deinen Traum. Je höher das Ziel gesetzt ist, desto mehr lohnt sich der Einsatz. Mal im ernst: Wenn wir uns vornehmen im Zeitraum von 2 Jahren, sagen wir 5 Kilogramm abzunehmen, der wird keine drastischen Änderungen an seiner Ernährung und Bewegungsalltag unternehmen. Wenn wir aber 10 Kilo in 6 Wochen ansetzten, ist das ganz etwas anderes! Und vielleicht schaffen wir keine 10 Kilo. Vielleicht sind es nur 5, aber auch das wäre in 6 Wochen doch ein beachtliches Ergebnis?
Anders ausgedrückt: Ist das Ziel bewusst hoch gesteckt sind auch Teilerfolge schon beachtlich.
Ein Wort zur Disziplin: Menschen sind im allgemeinen sehr schlecht in Sachen Disziplin. Außerdem glauben wir alle, dass wir zu den 2% gehören, die super-diszipliniert sind, aber in Wahrheit sind wir das nicht. Hier möchte ich einen letzten Punkt anführen, der sogenannten “operativen Konditionierung”. Hinter diesem Begriff steckt die einfache Tatsache, dass zur Motivation positive und negative Verstärkung genutzt werden kann, zu deutsch: Belohnung und Bestrafung. Der Punkt ist der, dass die Belohnung für uns oft nicht ausreicht und das negative Konsequenzen viel schneller zum Ziel führen! Es reicht, wenn an unsere Etappenziele eine dieser Konsequenzen gehängt wird, wobei das mit Verlust von Geld zu tun haben kann, mit ungeliebten Aufgaben oder auch dem automatischen Veröffentlichen peinlicher Bilder
Natürlich stellt dieser Text ein extrem da. So gradlinig und konsequent
wie hier beschrieben, ist es in der Praxis natürlich (oft) nicht. Aber
mit der richtigen Strategie sind unsere Träume keine Utopien mehr,
sondern rücken in erreichbare Nähe. Und das ist doch einen Versuch wert,
oder?
Ich freue mich über Kommentare oder auch eine E-Mail über die Homepage!
Bis bald,
Frank